Die Ursachen und Entstehungsmechanismen der ADHS sind noch nicht vollständig geklärt. Forscher gehen heute davon aus, dass eine Vielzahl einzelner genetischer Einflussfaktoren mit anderen Einflussfaktoren, z.B. mit Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen oder auch Umweltfaktoren zusammenwirken und so Entwicklungsabweichungen neuronaler Regelkreise zustande kommen, die für die Entwicklung der Symptomatik verantwortlich sind. Zu diesen Entwicklungsabweichungen neuronaler Regelkreise gehören Veränderungen im Neurotransmittersystem (das sind die Botenstoffe, die zwischen den einzelnen Hirnzellen eine Verbindung herstellen), die bei Kindern mit ADHS nachgewiesen werden konnten. Nach heutiger Auffassung können verschiedene Entstehungswege zu dem klinischen Erscheinungsbild einer ADHS führen. Das bedeutet auch, dass nicht bei allen Betroffenen die gleichen neuropsychologischen und neurobiologischen Auffälligkeiten der Symptomatik zugrunde liegen. Diese Auffälligkeiten sind nicht spezifisch für die ADHS, sondern können auch bei anderen Störungen vorkommen.
Ergebnisse neuroanatomischer Studien sprechen dafür, dass bei ADHS Funktionsstörungen bestimmter neuronaler Regelkreise vorliegen, deren wesentliche Bestandteile das Striatum (ein Teil der Basalganglien) und das Frontalhirn sind. Aber auch im Kleinhirn und anderen Hirnarealen von Kindern mit ADHS wurden Abweichungen gefunden. Die betreffenden Regelkreise sind wesentlich daran beteiligt, das Zusammenwirken von Motivation, Emotion, Kognition und Bewegungsverhalten neuronal zu realisieren bzw. zu steuern. Dysfunktionen (Funktionsstörungen) dieser Regelkreise gehen mit einem Über- oder Unterangebot von Botenstoffen (Neurotransmittern) in bestimmten Gehirnregionen einher. Bei ADHS sind dabei vor allem die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin von besonderer Bedeutung.
Aufgrund der Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn sind die Betroffenen nur eingeschränkt in der Lage, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu konzentrieren, sie leiden an einer gestörten Selbstregulation. Gleichzeitig ist der Zugriff auf vorhandene Fähigkeiten und Informationen behindert, so dass eine vorausschauende Handlungsplanung erschwert wird.
Erbliche Vorbelastung
Viele Studien weisen darauf hin, dass erbliche Faktoren eine bedeutsame Rolle für die Entwicklung von ADHS darstellen. Überzeugende Belege dafür stammen aus Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien. Zwillingsstudien zeigen, dass gut 80% der eineiigen und knapp 30% der zweieiigen Zwillinge die gleiche Symptomatik aufweisen. Auch anhand von molekulargenetischen Studien konnten einzelne Regionen im menschlichen Erbgut identifiziert werden, die bei Menschen mit ADHS typische Veränderungen aufweisen. Vor allem bei den Erbinformationen, die für die Bildung und Übertragung des Botenstoffes Dopamin verantwortlich sind, konnten entsprechende Veränderungen festgestellt werden. Allerdings können die bislang identifizierten Veränderungen die Entwicklung einer ADHS nur zu einem sehr geringen Teil erklären. Das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Genen und das Zusammenspiel von erblichen und Umweltfaktoren sind für die Entwicklung von ADHS vermutlich besonders wichtig und es liegen nur wenige Untersuchungsergebnisse vor. Nach gegenwärtigem Forschungsstand wird davon ausgegangen, dass viele einzelne genetische Veränderungen zusammenwirken. Diese genetischen Faktoren hängen zusätzlich mit anderen Einflussfaktoren, wie Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen oder auch Umweltfaktoren zusammen.
Komplikationen und Belastungen während Schwangerschaft und Geburt !
Der Konsum von Nikotin, Alkohol oder andere Drogen während der Schwangerschaft sowie ein Sauerstoffmangel bei der Geburt erhöhen vermutlich das Risiko des Kindes, später an ADHS zu erkranken. Auch zentralnervöse Infektionen während der Schwangerschaft, Schädelhirntraumen oder Verletzungen sowie Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt werden mit späteren hyperkinetischen Auffälligkeiten in Verbindung gebracht. Die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen mit ADHS weisen derartige Belastungen jedoch nicht auf. Darüber hinaus führen solche Komplikationen nicht immer auch zu ADHS.
Psychosoziale Einflüsse
Die Entwicklung und der Verlauf von ADHS kann durch familiäre und schulische Einflüsse beeinflusst werden. Familiäre Bedingungen, Bedingungen im Kindergarten und in der Schule sind zwar nicht die ausschließliche Ursache der Störung, sie können aber in einem erheblichen Maße die Stärke der Probleme und ihren weiteren Verlauf mitbestimmen. Weisen Eltern Betroffener selbst psychische Probleme auf (z.B. ADHS-Probleme) oder gibt es in der Familie viele Streitereien oder starke finanzielle Belastungen, können dadurch die ADHS-Symptome des Kindes oder Jugendlichen verstärkt werden. Auch hierbei muss von einem Wechselspiel zwischen den Faktoren der familiären und schulischen Umwelt, der genetischen Ausstattung des Kindes und möglichen Belastungen während Schwangerschaft oder Geburt ausgegangen werden.
Zu den so genannten psychosozialen Risikofaktoren zählen z.B.:
• Unvollständige Familie, d.h. Aufwachsen mit einem alleinerziehenden Elternteil oder ohne Eltern,
• Psychische Erkrankung eines Elternteils, vor allem Antisoziale Persönlichkeitsstörung des Vaters,
• Familiäre Instabilität, ständiger Streit zwischen den Eltern
• Niedriges Familieneinkommen, sehr beengte Wohnverhältnisse
• Inkonsequenz in der Erziehung, fehlende Regeln
• Häufige Kritik und Bestrafungen
Fachliche Unterstützung: Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Tobias Banaschewski, Mannheim (DGKJP)
Quelle: Neurologen und Psychiater im Netz
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